Als Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung nehmen wir am Klimablock der Umverteilen-Demo in Berlin teil. Mit einem Redebeitrag wollen wir die Thematik des automobilen Kapitalismus in den Umverteilungsdiskurs bringen:
Beim Thema „umverteilen“ und Autokapitalismus denken viele möglicherweise als erstes an ultrareiche Großaktionärsfamilien, deren Vermögen durch Zwangsarbeit und Konformität während des Nationalsozialismus entstanden ist. Die Hauptaktionärin und Aufsichtsrätin bei BMW Susanne Klatten hat ein Vermögen von circa 23 Mrd. Euro. Das macht sie zur reichsten Frau Deutschlands. Bini Adamszak hat kürzlich in einem Tweet ausgerechnet, dass selbst der BMW-Konzernchef 2400 Jahre arbeiten müsste, um das zusammen zu kriegen. Den Vergleich mit den normalen, aber relativ gut-verdienenden BMW-Arbeiter:innen oder den während der Corona-Krise als „system-relevant“ eingestuften Berufen wie Krankenpfleger:innen und Supermarkt:Kassierer:innen schenken wir uns an dieser Stelle.. Solch ein unverhältnismäßiger Reichtum muss besteuert werden. Denn: er ist erstens undemokratisch. Reichtum bedeutet im Kapitalismus auch immer mehr Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse. Susanne Klatten ist nicht zufällig Großspenderin der beiden Parteien, welche in der jüngeren Vergangenheit und gegenwärtig den Verkehrsminister stellten bzw. stellen und eine vernünftige Verkehrswende im Ansatz blockieren. Zweitens: der Energie- und Ressourcenverbrauch wohlhabender Menschen ist um ein Vielfaches höher als dem Durchschnitt hier und noch viel mehr dem im globalen Süden. Vollkommen zurecht können wir daher sagen: „CHANGE YOUR DIET FOR THE CLIMATE, EAT – THE – RICH!”
Mit RICH sind übrigens auch die Autokonzerne an sich gemeint. Denn trotz Energiekrise und coronabedingter Störung der weltweiten Lieferketten machen die großen Autokonzerne momentan Milliardenprofite. Das liegt daran, dass die Hersteller sich auf die Fahrzeuge fokussieren, welche die meisten Gewinne und besten Margen einbringen: sprich Modelle im Premium- und Luxussegment. Gerade deutsche Autokonzerne sind nach wie vor Weltmeister in der Produktion von klima- und umweltschädlichen Luxuskarren und SUVs. Dabei sind die Emissionen des Pkw-Verkehrs in Deutschland nur unwesentlich gesunken. Laut einer vorgestern von Greenpeace veröffentlichten Studie plant die globale Automobilbranche, noch fast 800 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor zu verkaufen. Das sind 300-400 Million Verbrenner zu viel, um irgendwie kompatibel mit 1,5° und dem verbleibenden Emissionsbudget zu sein.
Gleichzeitig wird alles dafür getan, die Verkehrswende auf eine Antriebswende zu reduzieren: Verbrennungsmotor und Tank raus, Elektromotor und Batterie rein. Fertig gewendet! Ignoriert wird dabei, dass auch ein e-motorisierter Individualverkehr bzw. die Produktion von Elektroautos jede Menge negative Auswirkungen auf Menschen und Umwelt hat, insbesondere im Globalen Süden. Die Automobilindustrie richtet ihre Produktion weder an Mobilitätsbedürfnissen noch an planetarer Grenzen aus. Vielmehr geht es einzig und allein um Profitinteressen.
Das zeigt sich auch an den gegenwärtigen Geschäftsentscheidungen deutscher Hersteller: In Baden-Württemberg sollen bei dem zu Daimler gehörenden Busproduzenten EvoBus an zwei Standorten massiv Stellen abgebaut werden, um Kosten einzusparen. Also Arbeitsplätze in genau jener Sparte, welche für eine sozial-ökologische Verkehrswende und den Ausbau des ÖPNV extrem wichtig wären. VW in Wolfsburg plant wiederum ein komplett neues und durchautomatisiertes Werk für eine E-Limousine auf grüner Wiese: in Zeiten von Klimakollaps und Artensterben soll für eine Karre, die niemand braucht und wenige sich leisten können, also eine riesige landwirtschaftlich genutzte Fläche versiegelt werden, ohne dass dabei neue Arbeitsplätze entstehen. Soligrüße gehen an dieser Stelle raus an die Aktivisti von StopTrinity, welche die geplante Baustelle seit September blockieren und Wolfsburg zur zukünftigen Verkehrswendehauptstadt machen!
Da es in den Vorstandsetagen nicht anzukommen scheint, was eigentlich abgeht, obwohl die Welt wahlweise brennt oder in Fluten versinkt, scheint ein anderer Weg notwendig. Was zukünftig produziert wird, darf nicht von Profitinteressen und Zahlungsbereitschaften eines Marktes abhängen. Nein, es bedarf einer demokratisch organisierten Mobilitätswirtschaft, welche über die gegenwärtige betriebliche Mitbestimmung hinaus geht, in der die Mobilitätsbedürfnisse aller miteinfließen und die vereinbar ist mit Klima und Ökosystemen. Nicht Volkswagen, sondern Vergesellschaftung wagen – auch für Automobilkonzerne!
Denn momentan wird kaum die Frage gestellt, wer sich denn überhaupt ein scheiß Elektoauto leisten kann. Grundsätzlich ist es so, dass 50% der Haushalte mit niedrigen Einkommen sich überhaupt kein Auto leisten können, egal ob Verbrenner oder Stromer. Schaut man sich die Top 5 der meist verkauften Elektoautos an, so kosten vier davon über 40.000€. Also wer kann sich das bitte leisten? Laut einer Studie, in welcher ein Profil von E-Auto-Fahrer:innen erstellt wurde, überwiegend Männer mit einem hohen Sozialstatus, welche häufig in Ein- oder Zweifamilienhäusern in guten und exklusiven Wohnlagen mit Gärten leben und die meist noch ein oder zwei weitere Pkws besitzen, denn sie sind (Zitat) „Autofans und umweltbewusste Fahrer“ (Zitatende).
Daher macht es auch total Sinn, dass der Staat den Menschen mit hohem Sozialstatus zusätzlich 6000€ an Förderprämie beim Kauf eines Elektroautos schenkt. Diese Prämie ist übrigens so gestaltet, dass bis zu 65.000€ teure Autos bezuschusst werden. Wenn arme Menschen sich kein Auto leisten können und reiche Menschen noch Geld für ihren bonzigen Zweit- oder Drittwagen bekommen, dann ist das nichts anderes als eine Umverteilung von Arm nach Reich.
Dass dies kein Einzelfall, sondern die Regel in der Verkehrspolitik ist, zeigt sich, wenn man sich die Förderung des motorisierten Individualverkehrs vs. den öffentlichen Personenverkehr anschaut: Infrastrukturinvestitionen und umweltschädliche Subventionen übersteigen die öffentlichen Mittel für den ÖPNV und Fernschienenverkehr um ein Vielfaches. Und das 2022 noch immer neue Autobahnen wie die Fortsetzung der A100 in Berlin gebaut werden sollen, anstatt in Radwege und öffentliche Verkehrssysteme zu investieren, ist ein Skandal.
Während der staatliche subventionierte Umstieg auf E-Automobilität sowie die staatliche Absicherung des Autoverkehrs also zu einer Umverteilung von Unten nach Oben führt und Ungleichheiten zementiert, ist auch das autozentrierte Verkehrssystem selbst durchzogen von Ungleichheiten:
Erstens: die absolut ungleiche Raumaufteilung, insbesondere in der Stadt. Dafür, dass in vielen Autos nur ein oder zwei Menschen sitzen und sie gleichzeitig nur circa eine Stunde am Tag bewegt werden, während sie in der restlichen Zeit unnütz rumstehen, brauchen Autos übertrieben viel Platz. Weiter gefestigt wird diese Aufteilung durch die Straßenverkehrsordnung als regulatorische Choreographie der autogerechten Stadt, indem sonstige Verkehrsteilnehmer*innen und öffentlicher Verkehr im Straßenverkehrsraum marginalisiert und benachteiligt werden.
Welche krassen Abwehrreflexe ausgelöst werden, wenn versucht wird, sich den Raum wiederanzueignen, hat man letzte Woche gesehen, als Springerpresse, Gewerkschaft der Polizei, Politiker:innen von AfD bis Grüne einen schrecklichen Fahrradunfall instrumentalisiert haben, um die Aktionen der Letzten Generation zu diskreditieren und kriminalisieren. Sand im Getriebe und SiG B solidarisieren sich mit der Letzten Generation. Auch mit den LG-Aktivisti aus München, die auf Grundlage des skandalösen bayerischen PAG für 30 Tage ohne Prozess in Präventivhaft gesteckt wurden. Wir mögen bezüglich Strategie und Aktionsform nicht einer Meinung sein. Aber eure Beharrlichkeit und euer Mut ist beeindruckend.
Eine zweite Ungleichheit und mit dem ersten Punkt verbunden ist der Aspekt der Sicherheit und Gesundheit. Zum Thema Sicherheit muss nicht viel gesagt werden. Alle die schon mal in Berlin mit dem Fahrrad unterwegs waren, können sicherlich von der ein oder anderen Nahtoderfahrung berichten. Gesundheitlich von den Emissionen des Autoverkehrs betroffen sind häufig einkommensschwache Menschen, welche notgedrungen an verkehrsintensiven Straßen wohnen müssen, aber auch Menschen mit Atemwegserkrankungen und Kinder.
Eine dritte Ungleichheit des autozentrierten Verkehrssystems ergibt sich entlang von Geschlechterdimensionen: Das autozentrierte Verkehrssystem ist Inbegriff von Machokultur, Sexismus und patriarchaler Gewalt. Das Auto ist dabei das Symbol und Mittel zur Ausübung männlicher Dominanz, der andere Verkehrsteilnehmer:innen weichen müssen. Die Konsequenz daraus ist, dass Männer deutlich häufiger Verursacher von schweren und tödlichen Unfällen sind. Gleichzeitig haben Frauen bei Autounfällen ein deutlich höheres Unfallrisiko. Diese Dominanz erstreckt sich auch auf die natürliche Umwelt: größere Autos, häufigere Nutzung und längerer Wegstrecken führen wenig überraschend zu deutlich höheren CO2-Emissionen von Männern im Straßenverkehr.
Der ganze Mobilitätsbereich ist außerdem geprägt von einer riesigen Gender-Gap: In der Autoindustrie liegt der Anteil der nicht-männlichen Belegschaft unter 20%. Wenn Industrie und Gewerkschaft fordern, Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zu sichern, geht es dabei vornehmlich um die Jobs von Männern! Diese männliche Exklusivität setzt sich in andere Bereichen fort: Im Bundesverkehrsministerium, wo es noch nie eine Ministerin gab und Leitungsfunktionen überproportional von Männern besetzt sind. In der Stadt- und Verkehrsplanung der Städte und Kommunen. Und nicht zuletzt in den Vorstandsetagen der Verkehrsunternehmen. Verkehrspolitik und die Automobilindustrie scheinen eine der letzten Männerbastionen zu sein. Das beschissene Ergebnis davon ist jeden Tag sichtbar und erlebbar.
Mehr Frauen* und Vertreter*innen marginalisierter Gruppen in bestimmten Positionen garantieren noch keine sozial-ökologische und geschlechtersensible Verkehrswende. Doch gegenwärtig wird der erwebstätige Mann und sein Mobilitätsverhalten als Maßstab für Produktion und Planungen im Verkehrsbereich genommen, obwohl das Mobilitätsverhalten von FLINTA-Personen, Sorgearbeitenden oder Menschen mit Behinderungen oft ganz anders aussieht.
Um den Bogen zurück zum Thema der Demo zu spannen: es bedarf auch konkreter Umverteilungen im Verkehrssystem:
Umverteilung von öffentlichem Raum, gerade in urbanen Gegenden. Dies hätte eine geringer Exponiertheit durch Schadstoffe des Autoverkehrs zur Folge sowie mehr Sicherheit und Lebensqualität für alle: Bislang ist das Verkehrssystem auf die jungen und fitten sowie die Wohlhabenden zugeschnitten. Doch alte Menschen, Kinder und Menschen mit körperlichen Einschränkungen haben andere Bedürfnisse nach sicherer Mobilität.
Des Weiteren eine Umverteilung im Verkehrssystem aus feministischer Perspektive notwendig: Die Bewegungsfreiheit einiger darf nicht länger die Mobilität vieler anderer beschneiden. Mobilität muss unabhängig von Geschlecht, Einkommen oder Hautfarbe bezahlbar (oder am besten umsonst), barrierefrei sowie umweltfreundlich sein.
Ziel ist also nicht nur eine sozial-ökologische Verkehrswende, sondern auch eine feministische und intersektionale.
Intersektional bedeutet, dass auch globale Ungerechtigkeiten in den Blick genommen werden. Diese sind häufig entlang rassistischer Kategorisierungen strukturiert. Automobilität ist ein wesentlicher Teil unserer imperialen Lebensweise, die erst durch Externalisierung und Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie Naturverhältnisse woanders ermöglicht wird. Also ein für den globalen Norden vorteilhafter Zugriff auf Ressourcen, Raum, Arbeitsvermögen und Senken im globalen Süden, dessen Menschen aufgrund kolonialer Vergangenheit nach wie vor rassistisch abgewertet werden.
Weltweit ist die deutsche Autoindustrie fünftgrößte Verbraucherin metallischer Rohstoffe. Dabei ist sie fast vollständig auf Rohstoffimporte angewiesen. Gerade durch die Digitalisierung der Autos und die Elektrifizierung des Antriebs steigt der Hunger nach Metallen. Batterierohstoffe wie Lithium, Kobalt und Nickel, aber auch Bauxit und Eisenerz für Karosserien werden vorwiegend im globalen Süden abgebaut. Der Abbau geht mit massiven Umweltzerstörungen einher, raubt die Lebensgrundlage der dortigen Menschen und führt zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Während der meiste Reibach entlang der automobilen Wertschöpfungskette in Deutschland gemacht wird, bleibt dort, wo die Rohstoffe gefördert werden und negative Folgen auf Menschen und Umwelt am größten sind, am wenigsten hängen. Die Rohstoffversorgung ist dabei nur eine Dimension neokolonialer Ausbeutungsmechanismen im Autokapitalismus. Der gewaltige Energiehunger, Ausbeutung von Arbeiter:innen und die Entsorgung der Schrottkarren sind weitere.
Als Sand im Getriebe solidarisieren wir uns mit den Kämpfen gegen Extraktivismus und Neokolonialismus im globalen Süden. Neben einer sozial-ökologischen Verkehrswende bedarf es hierzulande daher auch einer radikalen Ressourcenwende. Diese ist nur durch Suffizienz umsetzbar, das heißt eine Abkehr von der Ideologie des Wachstums und damit auch des Kapitalismus an sich sowie eine Fokussierung auf De-Growth! Denn grünes Wachstum ist genauso wie sauberes Gas eine dreckige Lüge. Doch wenn der Kuchen nicht mehr wie gewohnt größer wird, dann muss es erst recht heißen: Um-ver-teilen!!