Dieser schon etwas ältere Artikel von Janna und Tadzio hat immer noch Aktualität, wenn es darum geht zu erklären, warum Sand im Getriebe sich dem Autokapitalismus auf der Bühne der eigenen Selbstinszenierung entgegenstellen sollte. Ergänzend dazu, aktualisierte Gründe für eine erneute Aktion im Rahmen der Automesse in München im September 2023:

1.     Unveränderte bzw. verschärfte Problematik des motorisierten Individualverkehrs

a.     Der Verkehrssektor ist die größte klimapolitische Baustelle in Deutschland: Die anhaltend hohen Emissionen sind in den letzten zwei Jahren sogar wieder angestiegen.[1] Mittelfristig scheint das Verbrenner-Aus zwar zumindest für Deutschland und Europa beschlossene Sache, aber was hilft das, wenn die Autoindustrie gleichzeitig plant, weltweit noch knapp 800 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor zu verkaufen. Und damit 300-400 Million Verbrenner zu viel, um irgendwie kompatibel mit 1,5°C und dem verbleibenden Emissionsbudget zu sein[2].

b.     Fortführung neokolonialer Ausbeutungsverhältnisse: Eine Antriebswende macht keine Verkehrs- und Mobilitätswende. Der einseitige Fokus auf die Antriebsart und CO2-Emissionen ignoriert die vielen anderen Probleme, welche der motorisierte Individualverkehr hierzulande mit sich bringt (Unfälle, Flächenversiegelung, lebensfeindliche Städte, Ungleichheit etc.) Vor allem aber bedeutet es den verstärken Zugriff auf menschliche Arbeitskraft und natürliche Ressourcen im globalen Süden. Mit unserem Protest wollen wir explizit auf die neokoloniale Dimension des Autokapitalismus aufmerksam machen. 

c.     Rückgrat des deutschen Kapitalismus: Umsatzzahlen von 411 Milliarden Euro, Beschäftigtenzahlen von knapp 786.000 und über 11.000.000 produzierte PKWs alleine in der deutschen Automobilindustrie in 2021 zeigen, dass die Autoindustrie nicht nur die Schlüsselindustrie sondern auch der bedeutendste Industriezweig in Deutschland ist. Doch das endlose wirtschaftliche Wachstum lässt sich nicht ohne Umweltzerstörung und Ausbeutung realisieren. Um in diese kapitalistische Wirtschaftsweise zu intervenieren sehen wir jedoch gerade bei der Autoindustrie ein reales Möglichkeitsfenster: Die Antriebswende bringt die deutschen Hersteller zum wanken – BMW und Porsche versuchen sich in E-Fuels zu retten, Daimler setzt auf Luxuswägen und VW expandiert ins Ausland. Langsam bröckelt die Fasade unter dem politischen und globalen Druck. Das gibt uns Hebel für die Forderung nach einer sozial-ökologischen Transformation der Autoindustrie und somit einer elementaren Infragestellung des Kapitalismus.

d.     PS für das Patriarchat: Das System Auto ist sexistisch und patriarchalisch. Es ist sexistisch, da die Autoindustrie Frauen objektiviert und Rollenbilder zementiert um Verkaufszahlen zu erhöhen und Profite zu steigern. Es ist patriarchal da die Verkehrsplanung, die Produktion, sowie der Städtebau von und für cis Männer gemacht wird.

2.     Die IAA weiterhin DER Ort, um sich dem Autokapitalismus entgegen zu stellen

Auch wenn die Messe mit Blick auf Besucher:innen- und Aussteller:innen-Zahlen von ihrer ursprünglichen Bedeutung eingebüßt hat, bildet sie nach wie vor den Kristallisationspunkt für aktivistischen und ungehorsamen Protest gegen das „System Auto“, dessen „Orte der Zerstörung“ (als Äquivalent zur Kohlegrube) millionenfach auf deutschen Straßen unterwegs und damit meist nur individualisierend und nicht systematisch zu fassen sind und sich in er der Autoindsutrie manifestieren. Autobahn- und Straßenbauproteste, so wichtig und richtig sie sind, haben insbesondere die Politik als Gegnerin ausgemacht. Letztlich erscheint uns die IAA auch deshalb als geeigneter Ort, da die Messe an sich schon viel öffentliche Aufmerksamkeit erfährt und generiert, welche genutzt werden kann, um die eigenen Narrative zu platzieren.

3.     Eine Kampagne #blockIAA2.0 ist anschlussfähig an radikale Diskurse

a.     Obwohl der „heiße Herbst“ nicht mal lau-warm war – das Thema Ungleichheit ist wegen Ukrainekrieg, Energiekrise und Inflation so aktuell wie seit Langem nicht mehr. Auch unser autozentriertes Verkehrssystem und der dahinterliegende Autokapitalismus ist durchzogen von Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnissen, hier in Deutschland, als auch andernorts. Warum, haben wir in unserem Redebeitrag für die Umverteilen-Demo am 12.11.2022 in Berlin dargestellt.

b.     Vergesellschaftung im Mobilitätssektor: Daimlers zukünftige Geschäftsstrategie setzt Voll und Ganz auf Oberklassensegment, Luxus und Protz[3]. Gleichzeitig sollen bei der Bussparte von DaimlerTrucks massenhaft Stellen abgebaut werden, die für eine sozial-ökologische Verkehrswende extrem wichtig wären[4]. Die zeigt, dass nicht von Profitinteressen und Zahlungsbereitschaften eines Marktes abhängen darf, was zukünftig produziert wird. Im Gegenteil, es bedarf einer demokratisch organisierten Mobilitätswirtschaft, welche über die gegenwärtige betriebliche Mitbestimmung hinaus geht, in der die Mobilitätsbedürfnisse aller miteinfließen und die vereinbar ist mit Klima und Ökosystemen. Nicht Volkswagen, sondern Vergesellschaftung wagen – auch für Automobilkonzerne!

c.     Zwar sind die technologischen Weichen in den meisten Konzernzentralen mittlerweile auf Elektroauto (BEV) gestellt, dennoch scheint das Thema eFuels dank Regierungsmitkoalitionärin FDP noch nicht ganz abgeräumt. Der dafür benötigte Wasserstoff würde zukünftig vor allem aus Ländern des Globalen Südens importiert werden, mit hohem Potenzial für neue Formen des Energiekolonialismus. Hier als auch bei der Rohstoffthematik insgesamt sehen wir Verbindungen zu den Kämpfen von Ende Gelände, Debt4Climate und weiteren Akteur:innen.

4.     Diversität der Strategien

Mit Begeisterung nehmen auch wir zu Kenntnis, dass sich in der Klimagerechtigkeitsbewegung zunehmend ein „labour turn“ vollzieht und es auch im Bereich Mobilität und Automobilindustrie Pläne für Organizing der Arbeiter:innenschaft gibt. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass es gleichzeitig auch Akteur:innen braucht, welche radikale Forderungen mittels aktivistischer und ungehorsamer Interventionen in den Diskurs einbringen.Die IAA bildet dafür den idealen Kontext. Gleichzeitig plädieren wir dafür, trotz unterschiedlicher Vorgehenswesen nicht auf strategische Absprachen und gemeinsame Narrative zu verzichten und freuen uns über eine enge Zusammenarbeit mit anderen Akteur:innen der Mobilitätswende- und Klimagerechtigkeitsbewegung.

5.     Bedeutung der IAA-Proteste für den lokalen Kontext

Wiederholt wurde uns von Aktivisti aus dem Münchner-Raum mitgeteilt, welche außergewöhnliche Erfahrung die IAA-Proteste 2021 mit bundesweiter Mobilisierung (und darüber hinaus) für die lokale Gruppen und Strukturen war: „Ein links-radikales Protest- und Klimacamp auf der Theresienwiese!!!“Da das nächste Camp zur IAA sicher stattfindet und bereits organisiert wird, hoffen wir, dass Sand im Getriebe mit einer stabilen überregionalen Mobi wieder Teil des Anti-IAA-Protests und Camps sein kann.

6.     Oops, we blocked it again!

Trotz Corona und bayerischer Cops waren die Erwartungen (vor allem unsere eigenen) an #blockIAA2021 ziemlich hoch und nicht alle haben sich am Ende erfüllt. Aufgrund der Lage bei SIG sind wir momentan leider weit davon entfernt, die Aktion vergleichsweise groß zu denken. Und möglichweise muss sie das auch gar nicht, um (ähnlich) erfolgreich zu sein. Es wäre aus unserer Sicht allerdings extrem schade, wenn Sand im Getriebe als uneingeladene aber unverzichtbare Gästin nicht an der Autoparty teilnehmen könnte. Deshalb brauche wir euch um die Autoparty wieder zu blockieren! Damit es diesmal wirklich die letzte IAA wird.


[1] https://www.agora-verkehrswende.de/presse/newsuebersicht/verkehrssektor-verfehlt-2022-erneut-klimaziel/#:~:text=Die%20im%20Klimaschutzgesetz%20f%C3%BCr%20den,Millionen%20Tonnen%20CO2%20aus.

[2] https://www.greenpeace.de/publikationen/ICE-Bubble_2.pdf

[3] https://www.youtube.com/watch?v=A6HZNo2cFVQ

[4] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/zukunft-evobus-mannheim-neu-ulm-100.html